Zentrale Aspekte für den Umgang mit chronisch erkrankten Mitarbeitenden
Auf Basis der Analyse der im Projekt durchgeführten Interviews mit Personaler*innen und Führungskräften können zentrale Aspekte für den Umgang mit chronisch erkrankten Mitarbeitenden aus Sicht von Personaler*innen und Führungskräften abgeleitet werden. Übergeordnet liegen diese in den Bereichen
- Arbeitsgestaltung,
- Prozess- / Maßnahmengestaltung,
- Zusammenarbeit mit internen und externen Akteur*innen
- sowie der Kommunikationskultur.
Es zeigt sich, dass die gleichen Aspekte durch einige Befragte als Ressource / Good Practice gesehen werden, wohingegen andere Befragte diese als herausfordernde Barriere beschreiben. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Bewertung der aktuellen Umsetzung bzw. Umsetzbarkeit in Unternehmen variiert. Übereinstimmend werden die Aspekte jedoch als erfolgskritische Stellschrauben für den Erhalt und die Wiedereingliederung von Mitarbeitenden mit chronischen Erkrankungen identifiziert. Im Folgenden werden die Chancen und Hindernisse der jeweiligen Stellschrauben dargestellt.
Umverteilungen bzw. Anpassungen von Aufgaben im gleichen Tätigkeitsfeld, z.B. weniger körperliche Arbeit, mehr Büroarbeit sowie bei Versetzungen (inkl. Qualifizierung) in andere Arbeitsbereiche.
Hindernisse liegen hier allerdings auch bei Umverteilungen bzw. Anpassungen von Aufgaben, da dies nicht in allen Tätigkeitsfeldern möglich ist oder dies zu z.B. Überlastung von Kolleg*innen führen würde, wenn alle körperlichen Anforderungen einer Person umverteilt werden. Ferne sind die Möglichkeiten für Versetzungen im Unternehmen oft begrenzt.
Möglichkeiten finden sich hier in der Flexibilisierung der Arbeitszeit, in der Flexibilisierung des Arbeitsortes, z.B. flexible Homeoffice Vereinbarungen, in der Arbeitszeitreduktion, in der Digitalisierung von Prozessen sowie der Möglichkeit von Sonderurlaub, unbezahltem Urlaub oder Sabbaticals.
Hidnernisse entstehen dadurch, dass eine Flexibilisierung von Arbeitszeit oder Arbeitsort nicht in allen Tätigkeitsfeldern möglich ist, z.B. Schichtarbeit oder personennahe Dienstleistungen. Ferner ist in kleineren Unternehmen unbezahlter Urlaub oder ein Sabbatical schwieriger umsetzbar.
Möglichkeiten liegen hier bei Rücksicht, Respekt, Wohlwollen und Achtsamkeit unter Kolleg*innen. Dies sind wichtige Ressourcen für Mitarbeitende mit chronischen Erkrankungen.
Hindernisse entstehen oft daraus, dass kollegialer Umgang abhängig vom persönlichen Verhältnis der Mitarbeitenden ist. Angespannte soziale Beziehungen können beispielsweise zu Misstrauen gegenüber der Plausibilität von Krankheitstagen führen.
Als Möglichkeiten kann soziale Unterstützung durch Führungskraft als zentrale Ressource für Mitarbeitende mit chronischen Erkrankungen genannt werden.
Hindernisse resultieren aus unzureichender Sensibilisierung von Führungskräften: Bedarfe werden nicht erkannt, verschlossene Haltung gegenüber Mitarbeitenden sowie Stigmatisierungen.
Möglichkeiten finden sich in Arbeitsplatzanpassungen, z.B. bedarfsgerechte Bürostühle, Spezialtastaturen, Spracheingabesoftware sowie präventive Einrichtung ergonomischer Arbeitsplätze, z.B. höhenverstellbare Schreibtische. Im Bereich der Arbeitsumgebung werden Unterstützungsleistungen grundsätzlich als gut umsetzbar beschrieben.
Hindernisse resultieren jedoch aus der oft komplexen Bürokratie bei der Beantragung von Arbeitsplatzanpassungen.
Möglichkeiten und Chancen liegen darin, (Regel-)Prozesse entsprechend der Bedarfe der Mitarbeitenden individuell zu gestalten, z.B. im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM), sowie darin, Präventionsangebote gezielt Mitarbeitenden mit chronischen Erkrankungen anzubieten und Präventionsangebote auf Mitarbeitende mit chronischen Erkrankungen zuzuschneiden. Entscheidende Faktoren in allen Prozessen und Maßnahmen sind die Individualisierung, Mitarbeitendenzentrierung und Bedarfsorientierung.
In allen Maßnahmen soll der Erhalt bzw. die Wiederkehr der Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden in den Fokus gestellt werden.
Hindernisse bestehen oft darin, dass individuelle Vorgehensweisen einen erhöhten Ressourcenaufwand erfordert und dass Ressourcen für umfassende Präventionsleistungen häufig zu spät zur Verfügung gestellt werden.
Möglichkeiten resultieren hier daraus, Maßnahmen externer Akteur*innen im Unternehmen anzubieten (i.d.R. finanziert über Sozialversicherungsträger), z.B. Gesundheitstage, Gesundheitschecks, aber auch durch die Nutzung von unternehmensexternen Angeboten, z.B. vergünstige externe Sportangebote. Der punktuelle, bedarfsgerechte Einbezug von externen Akteur*innen zum Erhalt bzw der Wiedereingliederung von Mitarbeitenden mit chronischen Erkrankungen, z.B. Beratung zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch den Integrationsfachdienst oder das Inklusionsamt sowie eine enge Kooperation mit spezifischen externen Akteur*innen, z.B. den Betriebskrankenkassen, bieten ebenfalls gute Chancen.
Als Hindernisse gelten hier unzureichende Schnittstellenarbeit, fehlendes Wissen über Akteur*innen und deren Angebote sowie die oft komplexe Bürokratie bei der Beantragung von Leistungen.
Positiv verstärkend ist eine Kultur unternehmensweiter Offenheit gegenüber gesundheitsbezogenen Themen zu etablieren, chronische Krankheit als unternehmensrelevantes Thema zu behandeln und somit zu normalisieren, Empathie und Offenheit in Kommunikationssituationen zeigen sowie kontinuierliche und regelmäßige Gesprächssituationen mit Mitarbeitenden zu etablieren, unabhängig von Bestehen oder Wissen über eine Erkrankung. Enntscheidend in allen kommunikationsbezogenen Themen sind folgende Aspekte: Empathie, Offenheit, Vertrauen sowie Bedarfs- und Lösungsorientierung.
Mitarbeitende dürfen dabei jedoch zu keiner unfreiwilligen Offenlegung einer Erkrankung bewegt werden!
Kommunikation über chronische Erkrankungen am Arbeitsplatz
Sowohl aus Sicht von Mitarbeitenden mit chronischen Erkrankungen als auch aus Unternehmenssicht ist die Kommunikation oder Nicht-Kommunikation über chronische Erkrankungen am Arbeitsplatz ein entscheidendes Thema der Zusammenarbeit.
Die Perspektiven auf das Thema Kommunikation von chronischen Erkrankungen können allerdings sehr unterschiedlich sein. Im Folgenden soll sowohl die Sicht von Mitarbeitenden mit chronischen Erkrankungen als auch die der Unternehmen (Personaler*innen und Führungskräfte) auf kommunikationsbezogene Aspekte im Kontext von chronischen Erkrankungen im Arbeitsleben dargestellt werden.
Der Entscheidungsprozess, die eigene Erkrankung offenzulegen, bringt einige Herausforderungen mit sich. Im Vorhinein lässt sich nicht oder nur schwer einschätzen, wie Kolleg*innen oder Vorgesetzte reagieren, wenn man eine chronische Erkrankung offenlegt. Eine Offenlegung ist zudem irreversibel – wenn man sich einmal an seinem Arbeitsplatz als chronisch krank „geoutet“ hat, kann man diese Entscheidung nicht mehr rückgängig machen.
Praxishilfen für Betroffene:
Um Mitarbeitende mit chronischen Erkrankungen in diesem schwierigen Entscheidungsprozess unterstützen zu können, wurde der anonyme Online-Selbsttest sag-ichs.de durch den Lehrstuhl für Arbeit und berufliche Rehabilitation der Universität zu Köln entwickelt. Auf der Homepage finden sich neben dem Selbsttest u.a. auch vielfältige Informationen über die Rechte von Mitarbeitenden mit chronischen Erkrankungen sowie Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten.
Die Homepage nicht-zu-ersetzen.de richtet sich an Menschen mit chronischen Erkrankungen und stellt Informationen und Tipps für den Alltag und das Berufsleben mit chronischen Erkrankungen wie z.B. Wegweiser für die Rückkehr in das Berufsleben zur Verfügung.
Der (nicht-) offene Umgang mit der Erkrankung am Arbeitsplatz konnte in leitfadengestützten Interviews mit Personaler*innen und Führungskräften als zentraler Faktor identifiziert werden.
Kommunikationsbedingte Probleme des Unternehmens bestehen demnach in begrenzten Unterstützungsmöglichkeiten der Unternehmen. Zudem wird fehlendes Wissen und Tabuisierung hinsichtlich chronischer Erkrankungen von Unternehmensseite als Barriere angeführt. Stereotype Annahmen über und Stigmatisierungen von chronisch erkrankten Mitarbeitenden sind zudem keine Seltenheit.
Im Umkehrschluss werden Empathie und Offenheit von Unternehmensseite als zentrale Ressourcen zur Unterstützung von Mitarbeitenden mit chronischen Erkrankungen angesehen. Vetrauen, Bedarfs- und Lösungsorientierung sind hierbei wichtige Bausteine. Um eine von Offenheit und Empathie geprägte Unternehmenskultur erreichen zu können, ist die Kontinuität und Regelmäßigkeit der Kommunikation und Begleitung entscheidend.
Personaler*innen und Führungskräfte geben an, dass eine unternehmensweite Offenheit gegenüber dem Thema Gesundheit und Krankheit helfen würde, Mitarbeitende mit chronischen Erkrankungen adäquat unterstützen zu können. Hierbei geht es darum, dass Mitarbeitende ihre Bedarfe offen ansprechen und Arbeitgebende einen vertrauensvollen Rahmen hierfür schaffen.
Praxishilfen für Personaler*innen und Führungskräfte
Unter talentplus.de findet sich ein umfangreiches Portal zum Thema Arbeitsleben und Behinderung, welches sich primär an Führungskräfte und Personaler*innen richtet. Dort finden sich konkrete Hinweise zur Einbindung von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben, zur behinderungsgerechten Arbeitsgestaltung sowie ausführliche Informationen zu Beratungsstellen und rechtlichen Grundlagen. Die primäre Zielgruppe der Seite stellen Menschen mit Behinderung dar, jedoch finden sich darüber hinaus gezielte Praxishinweise für die Gestaltungsmöglichkeiten zur Teilhabe von Menschen mit chronischen Erkrankungen am Arbeitsleben.
Unter chrodis.eu ist ein umfangreiches Toolkit für die Förderung des Wohlbefindens, der Gesundheit und der Teilhabe von Mitarbeiter*innen am Arbeitsplatz zu finden. Dieses Toolkit richtet sich in erster Linie an Führungskräfte und Personaler*innen und umfasst ausführliche Informationen zu verschiedensten Gesundheitsaspekten (sowohl physischer als auch psychischer Natur) und konkrete Strategien zur Implementierung einzelner Tools.